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Asymmetrien des Bewegungsapparates im Wachstum „DYMAS“

Die von der Natur augenscheinlich erwünschte Einnahme eines hohen Maßes an Symmetrie für den menschlichen Bewegungsapparat ist bezüglich einer optimalen Entwicklung in vieler Hinsicht von Vorteil. Die Symmetrie ist jedoch eher die Ausnahme, die Asymmetrie ist die Regel. Es ist nicht immer einfach festzustellen, wo die Symmetrie endet und die Asymmetrie beginnt. Diese Feststellung hängt von unserer Wahrnehmung und der Genauigkeit des eingesetzten Messverfahrens ab.

Asymmetrie bedeutet nicht immer Krankheit. Es kann sich um eine angeborene Asymmetrie oder um eine später erworbene Asymmetrie im Sinne einer Regulation (Kompensation) einer andernorts vorliegenden Störung (Dysfunktion) handeln. Allgemein betrachtet, beginnt die Krankheit erst mit der dem Verlust der Kompensation einer Störung. Es kommt zur Dekompensation.

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Kinder können im Rahmen ihrer Entwicklung hervorragend kompensieren, wobei diese Fähigkeit mit zunehmendem Alter abnimmt. Die aus verschiedenen Gründen eingenommenen Asymmetrien des Bewegungsapparates werden meist problemlos „weggesteckt“. Häufig entstehen zahlreiche sich gegenseitig kompensierende Funktionsketten. Allerdings kann es nach länger anhaltenden Asymmetrien in der Funktion zu bleibenden Formveränderungen und somit zu nachhaltigen krankhaften Störungen kommen. Ebenso kann es nach länger eingenommener Formasymmetrie zu einer nachhaltigen Störung der Funktion kommen. Form und Funktion bedingen sich gegenseitig, welches letztendlich nicht nur für den Bewegungsapparat gilt, sondern auch für das damit verbundene Schädel-Kau-Kiefer-System (craniomandibuläres System). Es ist schwer vorauszusagen, welche Form eine solche Asymmetrie am Ende des Wachstums einnehmen wird und welche Symptome auftreten können. Häufig werden segmentale Fehlfunktionen mit Verkettungen in anderen Bereichen des Körpers fern ab der primären Störung gefunden. Grundsätzlich sollte daher eine frühzeitige Diagnostik durchgeführt werden, um bleibenden irreversiblen Gestaltveränderungen des Bewegungsapparates mit drohendem Krankheitswert vorzubeugen. Bei Neugeborenen und Säuglingen sollte ein großes Augenmerk auf Asymmetrien des Schädels, der Schädelbasis und des Kopf-Hals-Überganges gerichtet werden. Fehlfunktionen im Bereich der Wirbelsäule führen zu veränderter Wahrnehmung der Stellung und Bewegung des Körpers im Raum (Propriozeption).

Die nahezu ausnahmslos asymmetrische Lage des Ungeborenen im Uterus kann erste Schiefheiten für den Kopf und das Bewegungssystem verursachen. Die Passage durch den Geburtskanal stellt sich nicht immer problemlos dar. Grundsätzlich sollte sich das Kind gut in das Becken einstellen, die vornehmlich knorpelig angelegten
Schädelanteile sollten sich zusammenschieben lassen und die unter der Wehentätigkeit auftretenden großen mechanischen Kräfte sollten von den einwirkenden Strukturen des Kopf-Hals-Überganges gut toleriert werden.Bei Säuglingen sehen wir häufig Funktionsstörungen der Kopfgelenke, des Beckens und der Übergangsregionen der Wirbelsäule nach sog. Geburtstraumata wie erschwerten, lang andauernden oder sehr raschen Geburtsverläufen mit in der Folge notwendigen Kaiserschnitten und Geburten mit Hilfe von Geburtszange oder Vacuum. Die oben aufgeführten Funktionsstörungen weisen auf Dysfunktionen hin, deren Ursache eine
Schmerzreaktion auf einen sehr starken Reiz während der Geburt war. Die entstandene segmental erhöhte Schutzspannung ist eine zwar asymmetrische aber sinnvolle Reaktion. Normalerweise kann diese segmentale Spannung nach Abklingen des Reizes, z.B. nach dem Ende der Geburt, wieder abgebaut werden: Die meisten Babys entwickeln sich trotz einer schweren Geburt letztendlich zu „gut angepassten“ Erwachsenen. Bleibt jedoch der (Schmerz-) Reiz vorhanden, dann bleibt diese Schutzspannung bestehen und führt zu einer Haltungsstörung mit einseitiger Bewegungseinschränkung, skelettalen Formveränderungen besonders im Bereich des Schädels.

Die Auswertung der eingehenden Schwangerschafts-, Geburts- und Stillanamnese, die aufmerksame Beobachtung der spontanen Bewegungen des Säuglings und die fachkundige Untersuchung der einzelnen Segmente der Wirbelsäule ermöglichen die Einleitung der notwendigen Therapie. Klinisch fällt das Bild eines „schiefen Säuglings“ im Sinne einer kopfgelenkinduzierten Symmetriestörung (KISS) oder einer Tonusasymmetrie (TAS) auf.
Es handelt sich nicht um eine Diagnose, die ausschließlich aufgrund der Anamnese, einer besonderen Lage in der Gebärmutter oder eines Röntgenbildes gestellt wird. Die Diagnose ist durch eine klinische Untersuchung zu stellen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es sich bei KISS und TAS um Symptomatiken bzw. Diagnosen handelt, welche wissenschaftlich umstritten sind und in ihrer Bedeutung und Tragweite nicht einheitlich beurteilt werden.

Augenmerk muss auch auf den kindlichen Schiefschädel (lagebedingter Plagiocephalus) gelegt werden, wobei seit der Empfehlung, die Babys zur Prophylaxe eines plötzlichen Kindstodes in der Schlafposition auf den Rücken zu lagern, eine starke Zunahme dieser einseitigen Hinterkopfabflachung mit Schädelasymmetrien beobachtet wird. Eine nicht-lagebedingte Plagiocephalie, wie z.B. bei vorzeitiger einseitiger Schädelnaht-Verknöcherung ist eher die Seltenheit und muss durch ärztliche Untersuchung ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf Asymmetrien des Bewegungsapparates mit Funktions- und Formstörungen kommt es nach der Aufrichtung des Kindes in den Stand zu einer Zeit der sog. „Symptom-Armut“. Die Kinder kompensieren ihre Störungen oft meisterhaft. Erst mit 4-5 Jahren fallen den Eltern Störungen bei der Wahrnehmung und in der
Bewegung (sensomotorische Störungen) wie häufiges Hinfallen, „unrunder“ Gang und fehlende Spannung der Gesichtsmuskulatur (orofaciale Hypotonie) verbunden mit anderen Anzeichen für Teilleistungsstörungen auf. Die Eltern wünschen sich zumeist, dass dann spätestens vor der Einschulung z.B. das Sprachproblem, das Sabbern,
die Unruhe, die motorischen Störungen und die Aggressivität kurativ behandelt sind. Möglicherweise handelt es sich hier um nicht oder nicht ausreichend behandelte KISS- oder TAS-Kinder, die unter Wahrnehmungsstörungen, Störungen bei der Verarbeitung des Wahrgenommenen und unter Problemen bei der sensomotorischen Umsetzung leiden. Die Symptomatik dieser sensomotorischen Dysfunktion (SMD) ist vielgestaltig. Neben orthopädischen Problemen wie Becken- und Fußfehlstellungen sowie einer asymmetrischen Einstellung von Kopf und Wirbelsäule können auch Defizite in der Körperkontrolle, im Verhalten, bei der Sprachentwicklung, bei vegetativen Reaktionen und bei kognitiven Funktionen gesehen werden.

In der Vorschulzeit fallen auch bereits vor dem Zahnwechsel die ersten Störungen im Bissverhalten in Verbindung mit Haltungsvarianten der Wirbelsäule auf. Untersuchungen haben gezeigt, dass Schulter- und Beckenschiefstand sowie Skoliosen mit Kreuzbiss-Symptomatik zusammen auftreten, ebenso gibt es Verbindungen von Überbiss und Tonusasymmetrie.

Skoliosen, Kopfschmerzen, Migräne, Tinnitus, Schwindel, Ohrenschmerzen, einseitiges Hinken, Sprach- und Schluckstörungen, psychische Überlastungs-Reaktionen, „Schulter-Arm-Syndrome“, Parästhesien der Arme, Hände und Finger, Beschwerden von Hüfte, Knie, Achillessehne und Fuß können durch asymmetrische Druckbelastungen im Bereich der Kiefergelenke verursacht sein.

Kundige frühzeitige Diagnostik und Therapie von segmentalen Fehlfunktionen, deren segmentalen Kompensationen und entstandenen Funktionsketten muss während der kindlichen Entwicklung große Aufmerksamkeit zukommen. Die Einsicht, dass die Störung der Kiefergelenkbeweglichkeit oder Zahnfehlstellungen Einfluss auf die Körperhaltung und den Muskeltonus haben, setzt sich bei Orthopäden, Manualtherapeuten, Kieferorthopäden und Zahnärzten durch. Die Zusammenarbeit in einem geeigneten Netzwerk mit dem Hausarzt, den entsprechenden Fachärzten und anderen Therapeuten (Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie) ist ein hilfreiches Instrumentarium um derartige Störungen effektiv zu behandeln.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Diagnostik- und Therapieformen der „Manuellen Medizin“ und der Osteopathie in der Wissenschaft in ihrer Bedeutung und Tragweite nicht einheitlich beurteilt werden. Auch liegt bezüglich der genannten Therapieformen noch keine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie vor, wie es die höchstrichterliche Rechtsprechung für gesundheitliche Wirkaussagen in Deutschland fordert. In der Nennung beispielhaft aufgeführter Anwendungsgebiete der „Manuellen Medizin“ und der Osteopathie kann kein individuelles Heilversprechen bzw. keine Garantie zur Linderung oder Verbesserung aufgeführter Krankheiten
oder Krankheitszustände gegeben werden.